Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass der Tatsache, welche semantische Bedeutung Worte, also den damit verbundenen Bildern, die oft mit ganzen gedanklichen Konstrukten, starken Gefühlen verbunden sind, so wenig Wirksamkeit zugeschrieben wird.
Es ist nicht egal, ob wir „blue collar worker“ oder „white collar worker, „Untergebener,“ oder „Mitarbeiter“ oder „basic-worker“ sagen. Es ist nicht gleichgültig, welche Begriffe wir im Arbeitsprozess für die dort Tätigen verwenden. Das bereits Jahrzehnte dauernde Verwenden von neuen Begrifflichkeiten in der Arbeitswelt zeigt zwar von gewissen Bemühungen, aber wir ringen weiter mit der Semantik.
Natürlich verbergen sich hinter den Worten „blue collar worker und white collar worker“, die ja an und für sich noch wenig Aussagekraft haben, beschreiben sie doch nur, in welcher Kleidung man arbeiten geht, Vorstellungen und Bilder. Sie sind dem Taylorismus entlehnt (Frederick W. Taylor 1) ) der mit der zweiten industriellen Revolution, bestimmte Inhalte in die Begriffe einbrachte: white collar worker sind fürs Denken zuständig (z.B. Vorplanen von einzelnen Arbeitsschritten), blue collar worker für das abarbeiten der vorgegebener Arbeitsschritte.
Dass dieses veraltete Unterscheidung in Zeiten von immer stärkeren Vermischungen dieser „Tätigkeiten“ bei z.B. NFC-Programmieren nicht mehr zeitgemäß ist, hat sich immer noch nicht durchgesetzt.
Die Trennung in die einen die „Denken“ und die anderen die gehorsam „ausführen“ haben wir leider immer noch nicht wirklich überwunden, obwohl Jahrzehnte von Qualitätszirkeln, Kaizen, EFQM, Organisationsentwicklung und ähnlicher (Qualitäts-) Konzepte sich bemühen, die Kluft, die zwischen „denkenden Tätigen“ und „ausführenden Tätigen“ entstanden ist, zuzuschütten.
Die Weiterführung obigen Gedankens wurde dann sehr bald synonym für ein anderes Begriffspaar verwendet, dass wir auch noch nicht wirklich überwunden haben: Vorgesetzte und Untergebene. Wir verwenden zwar statt Untergebene emsig das Wort Mitarbeiter, aber das passt doch semantisch gar nicht zusammen! Vorgesetzte und Untergebene sind die Bilder, die tatsächlich damit verbunden sind. Die „Arbeitsteiligkeit“ ist hier nicht zwangsläufig „denkend oder manuell arbeitend“ sondern „Verantwortung haben und Durchführen“. Also auch „denkend“ arbeitende Menschen wie z.B. Kalkulanten, Buchhalter, techn. Zeichner finden sich in der Heerschar der Untergebenen wieder.
Ich habe in meiner Arbeit in Organisationen immer die Begrifflichkeit „Führungskraft und Mitarbeiter“ gewählt, da sie das, was Organisationen benötigen, am ehesten beschreibt. Führung ist nämlich nicht „pfui“, sondern nötig, sollte aber richtig verstanden werden 2). Mitarbeiter ist ein Begriff, der letztlich für alle in Organisationen Tätige in gleicher Weise gilt.
In den deutsch-sprechenden Ländern gibt es immer noch, wenn auch nicht mehr so bedeutend, einen weiteren Unterschied zwischen „Angestellten und Arbeitern“. Er entspricht in etwa der Unterscheidung in „blue und white collar worker“ mit dem Unterschied, dass über viele Jahrzehnte „Angestellte“ deutlich besser gestellt waren als „Arbeiter“. Das hatte den Effekt, dass alle Angestellte werden wollten, ohne Ansehen, was genau sie taten. Die Gewerkschaften waren da federführend, diese Unterschiede zu beseitigen. Das ist zwar zu einem großen Teil auch gelungen, aber die mit den Begriffen „angestellt“ und „arbeiten“ verbundenen Bilder leben immer noch.
Ich kann daher auch mit dem Begriff von „basic-worker“ recht wenig anfangen, dann was sind die „nicht-basic-worker“? „Top-worker oder wie? Von der Verteilung der Gehaltssummen her könnte es ja schon stimmen.
Oh, die Bilder die damit verbunden sind! Es passiert dadurch verstärkt das, was ohnehin in den letzten Jahrzehnten immer stärker wird, der Inhalt der Arbeit verliert immer mehr an Bedeutung, die (über-/ unter-) Bewertung (Bezahlung) der Arbeit zu. Oder wie wäre es sonst erklärlich, dass sogenannte Top-Manager das 40-50 fache eines „basic-workers“ als Gehalt beziehen?
Ich habe noch in einem Jugoslawien unter Tito als Berater gearbeitet, da verdiente ein Finanzdirektor (entspricht heute etwa dem eines CFO) das 1,5 bis max. dreifache eines Arbeiters. Das war für diese Leute ok, und hat auch vielleicht wirklich der unterschiedlichen Arbeitsbelastung (Überstunden, Dienstreisen etc.) entsprochen.
Eine weiteres interessantes semantisches Begriffspaar ist „Arbeitgeber und Arbeitnehmer“. Hier werden die Tatsachen einfach umgedreht! Denn wer gibt in Wirklichkeit die Arbeit? Doch der, der arbeitet, oder? Und wer nimmt sich die Arbeit, um sie zu verwerten? Dieser Trick (der vielleicht auf das Bibelwort „Geben ist seliger denn Nehmen“ zurückgeht) funktioniert schon seit vielen Jahrzehnten und niemand hinterfragt diese Begrifflichkeit mehr!
Ich denke, worüber wir uns Gedanken machen sollten, ist, wie wir Begriffe wie Wertschätzung, Verantwortung, Motivation in der Begrifflichkeit für arbeitende Menschen hinein bringen. Wobei ich wirkliche Verantwortung meine, wie sie beispielsweise eine Pflegekraft auf eine Intensivstation hat. Die ist doch zumindest in dem gleichen Ausmaß, oder noch höher(?) hat als die des Pflegedirektors in derselben Institution. Aber werden sie auch gleich bezahlt? Denn in unserem neoliberalen Bezugssystem ist Bezahlung immer noch die beinahe einzige Form der Wertschätzung, die uns bis heute eingefallen ist.
Es ist heute viel von „systemrelevanten“ Berufen die Rede. Interessant in der dieser Diskussion ist, dass dabei überwiegend von VerkäuferInnen, PflegerInnen, BusfahrerInnen, DisponentInnen, Paketzustellern etc. die Rede ist und nicht von CEOs und CFOs und ähnlichen Berufsgruppen. Sind die am Ende gar nicht „systemrelevant“? Und wie drücken wir die Wertschätzung für die „systemrelevanten“ Berufe aus? Indem wir gelegentlich klatschen? Oder ihnen immer wieder versichern, wie dankbar wir ihnen sind?
Ich denke bei Begriffen und Bildern wie „blue collar-worker und white collar-worker“ , „systemrelevant“ etc. ist noch eine Menge zu tun! Und vielleicht ist die Idee, eine wertschätzende Bezeichnung für diese Menschengruppen zu finden für den Anfang nicht das schlechteste. Verbale Wertschätzung wird nicht ganz ausreichen, eine begleitende wertschätzende finanzielle Beteiligung wird sicherlich notwendig sein. Denn wir stecken viel zu stark im Neo-Liberalismus, um ohne finanzielle Zuwendung auszukommen. Obwohl: es gibt immer mehr Menschen, die auch schon andere Werte anstreben: Zufriedenheit, Ausgewogenheit zwischen beruflichem und privatem Leben, einen Arbeitsplatz, der fordert, aber nicht überfordert usw.
Wenn wir allerdings nur bei der verbalen Umbenennung oder der Verleihung von „beste Mitarbeiterin im letzten Monat“ bleiben, versuchen wir ein altes österreichisches Modell wiederzubeleben: statt Geld gab es Titel! Das Ausland lacht zwar gerne über uns Ösis, aber das sehr hat lange gut funktioniert!
Übrigens: Gedanken zu den obigen Themen findet ihr in unserem Buchprojekt „Worauf Berater achten “ ISBN 978-3714302202.
Zu diesem Buch gibt es auch eine semantische Geschichte: Als wir die erste Auflage herausbrachten, fanden wir es eine gute Idee, anstelle der mühsam zu lesenden Genderformen wie Sternchen „Kund*innen“, Schrägstrichen „Mitarbeiter/innen“ das ganze Buch nur in der weiblichen Form zu schreiben. Obwohl ich am Beginn des Buches sogar darauf hinwies, bekam ich als Rückmeldung von vielen Lesern „ist mir gar nicht aufgefallen“!
Nur: wir, als Autoren, haben beim Schreiben gemerkt, dass es oftmals einen Unterschied macht, dass es nicht dasselbe ist ob man „männlich“ oder „weiblich denkt“. Das gab uns zu Denken!
- Shop Management. In: Transactions. American Society of Mechanical engineers, Band XXVIII, 1903, S. 1337–1480.deutsch: Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-72147-5. (Nachdruck der 3., vermehrten Auflage. Berlin 1914; 2. Neudr. 1919)
- siehe Skripten zu „Als Führungskraft gefordert“, Seminar 1- 6, Hans-Georg Hauser 2001-2015
Hans-Georg Hauser (TSTA-O)
Dezember 2021/Jänner 2022
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